Krieg in der Ukraine: Wenn die Kornkammer brennt

13.04.2022

Ein besonderer Gast zu einem der brennendsten Themen: Im 93. Podcast von „Wer nichts weiß, muss alles essen“ des Vereins Land schafft Leben spricht Obmann Hannes Royer mit der ehemaligen ukrainischen Landwirtschaftsministerin Olga Trofimtseva über den Krieg in der Ukraine und dessen Auswirkungen auf die Ernährungssicherheit. Die Zuhörerinnen und Zuhörer erhalten einen einmaligen und berührenden Einblick in die derzeitige Lage.

„Was die Ernährungssicherheit angeht, ist dieser Krieg die größte Krise seit dem Zweiten Weltkrieg, sagt die FAO. Insbesondere die russischen Blockaden von ukrainischen Häfen verhindern die Ausfuhr vor allem von Getreide wie Weizen nach Nordafrika, Asien und in die EU. Nur ungefähr zehn Prozent der bisherigen Menge können über Landwege mit der Eisenbahn exportiert werden. Kurz gesagt: Je länger dieser Krieg andauert, desto schwieriger wird es nicht nur für die Ukraine, sondern für die ganze Welt“, so Olga Trofimtseva, Wirtschaftsdiplomatin und Sonderbeauftragte des ukrainischen Außenministeriums.  

Während die Ukraine etwas mehr als 44 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner hat, ernährt die ukrainische Landwirtschaft insgesamt rund 400 bis 600 Millionen Menschen. 2001 musste die Ukraine noch Getreide für den eigenen Bedarf importieren. Heute exportiert das Land vor allem Getreide und Ölsaaten wie Sonnenblumenöl in großen Mengen nach Asien, Nordafrika und in die EU, weshalb es auch „Kornkammer der Welt“ genannt wird. Die Exporte von Lebensmitteln spielen damit sowohl für die Ukraine als auch die Empfängerländer eine wichtige Rolle. Ungefähr die Hälfte aller Exporteinnahmen der Ukraine sind auf Agrargüter zurückzuführen.

Auswirkungen auf EU

Auch die EU ist auf Getreide-Importe aus der Ukraine angewiesen: So kommt beispielsweise der Großteil des Schweinefutters in Spanien aus der Ukraine. Diese Futtermengen sind nur sehr schwierig zu ersetzen. Auch im Bio-Bereich ist die Ukraine ein wichtiger Futterlieferant: In Deutschland sind Bio-Tierbetriebe wesentlich auf ukrainische Futtermittel angewiesen. „Vor dem Krieg hat kaum jemand über die Bedeutung der ukrainischen Landwirtschaft nachgedacht. Auf einmal wird uns deren Relevanz in Bezug auf die Ernährungssicherheit schmerzlich bewusst. Die Auswirkungen sind auch in Österreich spürbar: Steht ein Lebensmittel auf dem Weltmarkt nicht mehr zur freien Verfügung, steigt der Preis“, so Hannes Royer, Obmann von Land schafft Leben.

Prekäre Anbausituation vor Ort

Der Landwirtschafts- und Ernährungssektor ist in den vergangenen zehn Jahren zu einem starken und wichtigen Industriezweig der Ukraine aufgestiegen. Die Dimensionen der dortigen Landwirtschaft sind kaum mit der österreichischen zu vergleichen: Der größte Betrieb bewirtschaftet circa 600.000 Hektar – das ist mehr als die landwirtschaftlich genutzte Fläche Oberösterreichs. Kleinere haben laut Olga Trofimtseva um die 100 Hektar. Zum Vergleich: Der durchschnittliche österreichische Bauernhof bewirtschaftet etwas mehr als 21 Hektar landwirtschaftliche Fläche. Die aktuelle Situation erschwert allerdings die landwirtschaftliche Produktion – sei es im Pflanzenbau oder in der Tierhaltung:

„Eigentlich werden jetzt die wichtigsten Kulturen angebaut. Allerdings ist dies nicht überall möglich, weil sich etwa auf den Feldern in befreiten Gebieten Minen oder Schrott wie verbrannte Panzer befinden. Kleineren Betrieben wiederum fehlt es an relevanten Mitteln wie Diesel oder Saatgut. In der Tierhaltung sind teilweise die Futterlieferketten unterbrochen. Tiere verenden oder Betriebe sind gezwungen, ihre Tiere notzuschlachten“, erklärt Olga Trofimtseva. Sie geht davon aus, dass heuer 50 bis 70 Prozent der üblichen Produktion realisiert werden können.

Zur Person:

Olga Trofimtseva ist Sonderbeauftragte des ukrainischen Außenministeriums und für Exporte und Investitionen zuständig. Ihre Spezialgebiete sind vor allem die Agrarpolitik und internationaler Agrarhandel. Im Podcast „Wer nichts weiß, muss alles essen“ beantwortet sie die drängendsten Fragen zur landwirtschaftlichen Produktion während des Krieges in der Ukraine. Zuvor war sie die erste weibliche Ministerin für Landwirtschaft und Ernährung und Vorsitzende der ukrainischen Landwirtschaftskammer. Als Landwirtschaftsministerin war ihr insbesondere der Ausbau der biologischen Landwirtschaft in der Ukraine ein Anliegen. 2012 hat sie in Berlin ihr Doktorat in Agrarpolitik absolviert. Sie ist kurz nach Kriegsausbruch mit ihrer Tochter nach Berlin geflüchtet.

 

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