Herkunft spür- und schmeckbar machen

20.10.2023 / Landwirtschaft & Lebensmittelproduktion

Beim Wein ist es gelungen, das Lebensmittel besonders eng mit dessen Herkunft zu verknüpfen. Und zwar auch in der Wahrnehmung der Konsumentinnen und Konsumenten: Woher ein Wein kommt – aus welchem Land, aus welcher Region, ja sogar von welchem Weingut – ist wohl in den allermeisten Fällen die erste Frage, die man sich stellt, bevor man sich für einen Flasche entscheidet. Wie der Weinbranche das gelungen ist und warum die Herkunft eigentlich der mitunter wichtigste USP eines jeden Lebensmittels ist, hat uns Winzer Armin Tement im Interview erzählt.
 

Land schafft Leben: Armin, was bedeutet Herkunft für dich als Weinbauer, als Landwirt?

Armin Tement: Herkunft ist für mich eine Möglichkeit, seine Eigenschaften auszudrücken. Denn egal, wo du bist auf der Welt: Die Bedingungen, die dort herrschen, gibt es nur ein einziges Mal. Und wenn man es schafft, diese Einmaligkeit zu fassen, in seinen Produkten schmeckbar und spürbar zu machen, dann entwickelt man eine Identität, die man nachvollziehen kann.

Land schafft Leben: Wie äußert sich die Herkunft in einem Lebensmittel? Hast du ein Beispiel?

Armin Tement: Wir arbeiten mit einer Rebsorte, dem Sauvignon Blanc, die es auf der ganzen Welt gibt. Wenn wir jetzt industriellen Allerwelt-Sauvignon Blanc produzieren wollten, hätten wir hier in der Südsteiermark keine Chance. Das geht in vielen andere Gebieten deutlich einfacher und billiger. Deshalb hat unser Sauvignon Blanc ein Geschmacksprofil, das eng mit dem Ort verknüpft ist, wo er wächst – und das macht ihn zu einem einzigartigen Produkt.

Land schafft Leben: Wie machst du den Menschen diese Einzigartigkeit begreifbar?

Armin Tement: Das ist die große Herausforderung, denn unser Sauvignon Blanc bewegt sich weitab vom Mainstream und erzeugt dadurch beim klassischen Sauvignon-Trinker eher Fragezeichen. Der sagt nämlich: So schmeckt Sauvignon Blanc doch gar nicht. Jetzt sage ich aber: Genau so schmeckt Sauvignon Blanc, wenn er hier wächst. Im Sommelier-Kurs lernst du, dass Sauvignon nach Papaya, Maracuja und Mango schmeckt. Aber was haben diese Früchte hier bei uns in Österreich verloren, in einem typisch steirischen Wein? Die Früchte wachsen hier nicht, wie kann dann unser Wein danach schmecken? Und das ist genau der Punkt, warum Herkunft so bedeutend ist. Weil du als Produzent herausfinden musst, was deine Herkunft auszeichnet und was ihre Eigenschaften sind.

(c) Ingo Pertramer

Land schafft Leben: Beim Wein ist es gelungen, den Konsumentinnen und Konsumenten die Bedeutung von Herkunft begreifbar zu machen. Bei vielen anderen Lebensmitteln ist nach wie vor meist der Preis und nicht andere Parameter wie die Herkunft ausschlaggebend dafür, ob sie gekauft werden oder nicht. Warum ist das so?

Armin Tement: Der Wein hat das Glück, dass die Typizität seiner Herkunft schon lange zelebriert wird. Das haben wir Generationen an Winzerinnen und Winzern zu verdanken, die hier in den vergangenen Jahrzehnten wirklich Pionierarbeit geleistet haben. Deshalb können wir heute ganz wo anders ansetzen als zum Beispiel ein Landwirt, der Eier produziert. Der hat es viel schwieriger, weil das einfach nicht so gelebt wird wie beim Wein – oder zumindest kenne ich noch keinen Ort, von dem man sagt, das ist die beste Eier-Herkunft der Welt.

Land schafft Leben: Welche Rolle spielt hier die Vermarkung?

Armin Tement: Eine große. Du kannst das beste Produkt herstellen – wenn es keiner weiß, wird es schwierig. Du musst beinhart dafür arbeiten, Nachfrage zu erzeugen. In meinem Fall muss ich nicht nur den Händler von meinem Produkt überzeugen, sondern auch dafür sorgen, dass der wiederum die Gastronomin überzeugt, die Gastronomin ihren Sommelier und der Sommelier schlussendlich die Gäste. Das ist viel Arbeit, gibt mir als Produzent aber auch viel Gestaltungsspielraum. Beim Eierbauern ist das anders. Der hat meistens nur einen Vertriebsweg und das ist der Großhandel oder der Supermarkt. Dort bekommt er einen vorgegebenen Preis für sein Ei und hat gar keine Chance, sich gegen andere Produzenten abzugrenzen. In vielen anderen Bereichen der Landwirtschaft ist das ähnlich.

"Herkunft ist für mich eine Möglichkeit, seine Eigenschaften auszudrücken. Denn egal, wo du bist auf der Welt: Die Bedingungen, die dort herrschen, gibt es nur ein einziges Mal."

Land schafft Leben: Dabei haben wir in Österreich für die Produktion so vieler Lebensmittel besonders gute Voraussetzungen, allein schon aufgrund unserer gesetzlichen Rahmenbedingungen. Hühner zum Beispiel haben bei uns so viel Platz im Stall wie in fast keinem anderen Land, trotzdem kaufen wir Hühnerfleisch aus dem Ausland, weil es billiger ist.

Armin Tement: Jeder will das Schweinchen Babe in der Werbung sehen, aber gekauft wird die billige Alternative. Und wenn österreichisches Fleisch gekauft wird, dann in Aktion. Das finde ich grundsätzlich ein falsches Denken, denn so wird eigentlich nichts mehr zum Normalpreis verkauft. Und das fällt im Endeffekt auf den Produzenten zurück. Beim Wein gibt es ähnliche Probleme.  

Land schafft Leben: Der Preis ist auch eine Frage der Wertschätzung, und die spiegelt sich in der Einstellung der Produzentinnen und Produzentinnen gegenüber ihrem eigenen Produkt wider. Wer auf ein Weingut kommt, der wird empfangen, herumgeführt, dem wird Wein zum Verkosten angeboten. Manche andere landwirtschaftliche Betriebe wollen nicht einmal, dass jemand ihren Stall von Innen sieht.

Armin Tement: Die Nähe zum Landwirten hat im Weinbau auf jeden Fall dazu beigetragen, dass wir heute dort sind, wo wir sind. Die gläserne Produktion, zu zeigen, wie produziert wird, das taugt den Leuten auch. Viele kommen und möchten eine Kellerführung haben, das ist eine richtige Freizeitbeschäftigung geworden. Wir haben heute zwischen 100 und 200 Gäste pro Tag hier am Weingut. Klar ist aber auch, dass die alle nicht kommen würden, wenn wir nicht eine ganze Region beziehungsweise sogar eine ganze Branche im Hintergrund hätten, die dasselbe Ziel verfolgt.

Land schafft Leben: Was können sich andere Branchen hier abschauen?

Armin Tement: Ich glaube, dass es wirklich wichtig ist, Synergien zu nutzen. Man muss sich einmal vorstellen: Vor 60 Jahren hat man die südsteirische Weinstraße nicht einmal befahren können, von Qualitätswein war da noch lange nicht die Rede. Dass wir heute berühmt dafür sind, ist uns gelungen, weil sich viele Betriebe in der Region hier zusammen in dieselbe Richtung entwickelt haben. Dabei ist egal, ob du groß oder klein bist – Diversität ist immer ein Vorteil, solange alle etwas Positives zur Region, zur Branche, zur Qualität beitragen. Und je mehr Betriebe es gibt, je mehr Qualität geboten wird, desto mehr Leute kommen auch zu dir.