Bauernaufstand anno 2019?

26.02.2019 / Landwirtschaft & Lebensmittelproduktion

1809 kämpften Tiroler Bauern unter Andreas Hofer für ihre Freiheit. Auf dem Schlachtfeld und gegen einen übermächtigen Feind, dem sie trotz einiger bemerkenswerter Erfolge letztlich unterliegen mussten. Nicht zuletzt deshalb, weil sie von der hohen Politik in Wien für einen von vielen als faul empfundenen Frieden fallen gelassen wurden. 210 Jahre später scheint die Freiheit der Tiroler Bauern erneut schwer unter Beschuss. Die „Feinde“ sind diesmal andere, aber – wie es aussieht – nicht minder übermächtig. Und auch in diesen Tagen befürchten viele Tiroler Bauer, dass ihre Freiheit einer Art faulem Frieden geopfert werden könnte. Widerstand regt sich…

 

Ein (Fehl)Urteil oder: Wo ein Kläger, da ein Schuldiger?

Was ist passiert? Ein Tiroler Bauer wird zu einer Entschädigungsleistung in ruinöser Höhe verurteilt, weil im Sommer 2014 seine Mutterkuhherde eine 45-jährige deutsche Touristin zu Tode getrampelt hat. Die Urteilsbegründung: Der Bauer hätte durch Einzäunen seiner Herde den Tod der Frau verhindern können. Warnschilder, die er angebracht hatte, hielt das Gericht für nicht ausreichend. Der Umstand, dass die Touristin einen Hund mitgeführt und diesen bei erfolgter Attacke durch die Kühe nicht losgeleint hat, konnte die Richter nicht von ihrem harten Urteil gegen den Bauern abhalten. Mit anderen Worten: Ein in seinen tragischen Folgen so bedauerliches, wie objektiv betrachtet, krasses Fehlverhalten der zu Tode gekommenen Frau in dieser gefährlichen Situation hatte keinen Einfluss auf das Urteil. Auch ein zugezogener Sachverständiger, der dem Bauern ausreichende Sicherheitsvorkehrungen bescheinigte, nützte diesem nichts.

 

Warnschilder reichen nicht aus; befand das Gericht:

Das Urteil ist nicht rechtskräftig, weil der Bauer berief. Unabhängig vom letztlichen Ausgang dieser Causa ruft das jetzt einmal vorläufige Urteil geradezu dazu auf, sich Gedanken zu machen. Gedanken über das Zustandekommen selbst, dessen Begründung durch das Gericht und vor allem auch über die weitreichenden Folgen, die es nach sich ziehen könnte.

Vollkasko-Mentalität oder: Eigenverantwortung ade!

So tragisch das zu Grunde liegende Ereignis an sich ist, also der Tod der Frau, Schmerz und Trauer der Hinterbliebenen; so existenzbedrohend das drohende Urteil für den Bauern auf der anderen Seite: Die weit über diese Einzelschicksale hinausgehende Signalwirkung ist es, die an diesem Urteil in erster Linie zu denken gibt. Hier wurde nicht nur über einen Einzelfall geurteilt, sondern hier saß gewissermaßen mit dem Bauern die ganze alpine Weidewirtschaft auf der Anklagebank. Und wurde dort vor den Kopf gestoßen, weil für schuldig befunden. Während gleichzeitig ein an sich bereits riskantes Verhalten, nämlich das Mitführen von Hunden auf der Weide und ein klares Fehlverhalten dann im Moment der Gefahr, von jeder Selbstverantwortung freigesprochen wurde.

 

Hund und Kuh - da ist Gefahr in Verzug.

Die Faktoren „Pech“, Verknüpfung unglücklicher Umstände etc. kann man nicht gerichtlich belangen, weshalb sie offenbar auch für die Beurteilung der Situation und die Verurteilung des nun einzig zur Verantwortung gezogenen Landwirtes keine Rolle gespielt haben. Oder ist es etwa nicht Pech, dass laut Unfallprotokoll die Herde unmittelbar vor dem tragischen Ereignis bereits durch zwei andere Hunde in Aufregung versetzt worden war, die sich dann gegen den angeleinten Hund des späteren Todesopfers gerichtet hat? Das ist natürlich Pech ist man geneigt salopp zu sagen, „dumm gelaufen“. Schicksal meinetwegen, wobei dieses dann schon tatkräftig vom Fehlverhalten der Frau herausgefordert worden wäre, indem sie ihren Hund schützen wollte und angeleint ließ. Aber all das ist keine Erzählung vor Gericht. All das spielt bei der Urteilsverkündung keine Rolle.

Zu Recht meines Erachtens sprechen viele Kommentare daher von einer Vollkaskomentalität, die dieses Urteil hier gleichsam als erfolgreich einklagbar einzementieren helfe. Drohen die vielzitierten amerikanischen Verhältnisse? Wird auf Kosten der Bauern hier ein fauler Friede geschlossen mit den überbordenden Ansprüchen eines Will-haben-Tourismus‘, der einerseits die artgerecht gehaltene Kuh auf der Weide fordert und andererseits Nullrisiko bei uneingeschränkter Bewegungsfreiheit? Es sieht so aus.

Gieriger Bauer oder: „Wer soll das bezahlen“

Der Bauer hätte, so das Gericht, einen Zaun aufstellen können, das wäre ihm möglich gewesen. Der Beklagte hat sich vor Gericht dazu wie folgt geäußert: „Ich kann das doch nicht alles einzäunen. Das wären ja 18 Kilometer. Der Boden ist hart und vor dem Winter muss das alles wieder raus. Wer sollte das alles je bezahlen?“ Vielleicht hätte er sich den letzten Satz besser sparen sollen, hab ich mir beim Lesen spontan gedacht. Das war nicht geschickt, den Bezahl-Aspekt zu erwähnen, so zutreffend er objektiv gesehen auch ist. Vielleicht hat er dadurch tiefsitzende Vorurteile auf den Plan gerufen? „Der gierige Bauer“, „der Bauer, der für alles noch extra bezahlt werden will“ oder ähnliche hanebüchene Klischees, wie sie mir immer noch und immer wieder unterkommen? Es würde mich nicht wundern. Ich will damit den zuständigen Richtern keine plumpen anti-bäuerlichen Ressentiments unterstellen. Aber ich weiß, dass gerade unter Akademikern derlei Klischees sich nach wie vor großer Beliebtheit erfreuen und nur auf die Gelegenheit warten, sich scheinbar bestätigt zu sehen. 

 

Hier saß gewissermaßen mit dem Bauern die ganze alpine Weidewirtschaft auf der Anklagebank. Und wurde dort vor den Kopf gestoßen...

Almromantik mit Beteiligung von Kuh - in Gefahr?

 

Zumutbare Zäune oder: Hund und Wolf sind uns näher als Bauer und Kuh?

Fakt ist, dass es ein (nicht vorhandener) Zaun war, der dem Bauern in diesem Fall zum Verhängnis geworden ist. Ein Zaun, der die Touristin mit ihrem Hund vor den Kühen hätte schützen können. Das bringt mich zu anderen angeblich zumutbaren Zäunen. Zäune, die ein anderes „Verhängnis“ von Bauern und ihren Weidetieren im alpinen Raum abhalten sollen. Zäune, die in diesem Fall umgekehrt die Kühe und ihre Kälber, die Jungtiere oder auch Schafe und Ziegen vor einer potentiellen Gefahr schützen sollen. Zäune gegen den immer weiter in die Almregionen vordringenden Wolf. Eine Mehrheit der österreichischen Bevölkerung begrüßt laut Umfragen die Rückkehr dieses faszinierenden Großräubers. Umweltverbände und „Wolfsexperten“ sowieso: Und diese sind es, die den verunsicherten Almbauern, die um ihr Weidevieh fürchten, Zäune gegen den Wolf raten. Zäune und Hütehunde. Dann wird das schon alles gehen. Zäune sollen uns und unseren Kulturwolf vor der bösen Kuh schützen und Zäune sollen den guten Wolf davor schützen, dass er ein zweites Mal ausgerottet wird, nur weil er sich seiner Natur gemäß aufführt und sich ab und zu am bäuerlichen Eigentum vergreift…

 

... seiner Natur gemäß aufführt und sich ab und zu am bäuerlichen Eigentum vergreift

 

Was wollen wir eigentlich? Wir Konsumenten, Touristen, Wanderer, Radfahrer, Freizeitsportler, Naturliebhaber und Artenschützer? Wir sind es ja nicht, die dort oben, wo alles mühsam und aufwändig ist, irgendetwas erhalten! Wir wollen es erhalten lassen von denen, die das eh immer schon gemacht haben. Die sollen sich nicht so anstellen! Für den Bauern ist kein Vollkasko-Schutz gegen Wolfsschäden vorgesehen, weder präventiv noch für den tatsächlichen Schadensfall, auch wenn Entschädigungen gezahlt werden bei nachgewiesenen Wolfsrissen. Zäune gegen Wölfe im alpinen Gelände als zumutbar darzustellen, grenzt meiner Meinung nach aber schon an Frotzelei…

Was verlangen wir von unseren Bauern und welche Unsicherheiten und zusätzlichen Aufwendungen muten wir ihnen zu? Ehrlich gesagt, fällt es mir als langjährigem Almhirten hier ganz besonders schwer mich zurückzuhalten, neutrale Distanz zu wahren. Das Innsbrucker Urteil, es regt mich auf. Nicht weil ich kein Mitgefühl für die von diesem schweren Verlust betroffene deutsche Familie habe. Deren Verlust ist ja unmöglich wieder gutzumachen und er ist wie jedes Menschenleben unmöglich zu beziffern. Ich kann aber beim besten Willen nicht erkennen, dass durch dieses Urteil die Welt gerechter aussieht als vorher – und das ist ja nun wohl der Anspruch an Gerichte und ihre Urteile. Im Gegenteil, dieses Urteil in seinen absehbaren Konsequenzen leistet einer schleichenden Ungerechtigkeit weiter Vorschub. Die Almwirtschaft, die alpine Weidewirtschaft, ihre Protagonisten, die Bauern und ihr liebes Vieh werden weiterhin zwischen den verschiedensten Interessen aufgerieben. Dass ein Tiroler Gericht so entscheiden konnte, dafür fehlen mir, obwohl ich es versucht habe, eigentlich die Worte…  

 

 

Zäune gegen Wölfe im alpinen Gelände als zumutbar darzustellen, grenzt meiner Meinung nach aber schon an Frotzelei…

„Kuh böse, Wolf gut, Frau tot, Bauer erledigt“

So ungefähr könnte ich mir einen Titel in der Bild-Zeitung vorstellen, der in bester Boulevardpresse-Manier das (möglicherweise richtungsweisende) Urteil im Kuhattacken-Prozess am Tiroler Landesgericht mit der existenzbedrohenden Gesamtsituation der alpinen Weidewirtschaft in eine Schlagzeile presst.

Dass sich gegen diese Front an unzumutbaren Zumutungen, wie ich sie sehe, breiter Widerstand regt, ist nur logisch. Erste Ankündigungen von Almbesitzern werden bereits publik, zukünftig entweder das Betretungsrecht zu streichen oder keine Kühe mehr aufzutreiben, sollte das Urteil rechtskräftig werden. Beide jetzt angedrohten Varianten können im Grunde in niemandes Interesse sein. Auch nicht in dem der betroffenen Bauern, obwohl ich sie als begründete Vorsichtsmaßnahmen wie gesagt absolut verstehe. Kein Bauer will an sich Touristen vergrämen oder seine Tiere nicht mehr auf die Alm treiben. Beides würde auch sehr schnell eine ganz schlechte Presse einbringen. Und das können unsere Bauern in Zeiten wie diesen am allerwenigsten brauchen. Die Situation ist daher wirklich hochgradig unbefriedigend bis bedrohlich für sie. Eine zufriedenstellende Lösung alles andere als einfach.

Ich hoffe wirklich sehr, dass dieses Urteil eine Debatte darüber anstößt, wie wir alle hier Verantwortung übernehmen und diese auch leben können.

Breite Welle der Solidarisierung als Chance?

Ein Hoffnungsschimmer, wenn auch vielleicht nur trügerisch und kurzfristig, zeigt sich für mich in der allerorten dem jetzt betroffenen Bauern gezeigten Solidarität bzw. im fast unisono verlauteten Unverständnis über das Urteil. Egal welche Zeitung ich aufschlage, egal in welche Timeline auf Facebook ich schaue, egal welche politische Partei, die sich bis dato zu Wort gemeldet hat, überall derselbe Tenor: Bei allem Verständnis für die leidtragende Familie der verstorbenen Frau zeigt sich jeder irritiert bis schockiert. Freilich ist der Schuldige zumeist vorschnell gefunden: Der Richter insbesondere, der dieses „skandalösen“ Urteil gefällt hat, erleichtert uns dergestalt das Weiterdenken. Wir sollten uns hier aber nicht erleichtern! Wir sollten hier ganz genau hinsehen, inwiefern wir etwa selbst in der Verantwortung stehen. In der Verantwortung mindestens, uns über eine kurze Irritation hinaus mit jenen Fragen zu beschäftigen, die dieses Urteil erst einmal aufwirft, ohne sie auch nur annähernd zu beantworten. Ich hoffe wirklich sehr, dass dieses Urteil eine Debatte darüber anstößt, wie wir alle hier Verantwortung übernehmen und diese auch leben können. Denn was sich anhand dieses Urteils zeigt und was ich in nur einigen zentralen Aspekten versucht habe in eine zusammenhängende Betrachtung zu bringen, ist in Wahrheit ein ganzes Bündel an Problemfeldern: Ausgehend vom schon fundamental zu nennenden Graben zwischen Bauer und Bürger. Vielleicht muss der Bauer wirklich den Bürger mit ernsten Konsequenzen seines Tuns konfrontieren, wie etwa einem Betretungsverbot von Almen? Und ihn so mit der Nase darauf zu stoßen, was dieser (der Bürger) verantwortet, wodurch jener (der Bauer) zusehends in seiner Existenz bedroht ist? Vielleicht?