Agrarriese Frankreich: Agri-Bashing und Bauernsterben statt Champagner(laune)

13.11.2019 / Landwirtschaft & Lebensmittelproduktion

Das hässliche Wort „Bauernsterben“ ist in Frankreich, der führenden EU-Agrarnation, brutale, beinah tägliche Realität. Alle ein bis zwei Tage beendet ein französischer Bauer seine ausweglos scheinende Lage durch Suizid. Wirtschaftliche Gründe in der Hauptsache, aber auch das zunehmende Gefühl an den Rand der Gesellschaft gedrängt und vielen Anfeindungen ausgesetzt zu sein, werden als Hauptgründe genannt. Und das, obwohl sich das offizielle agrarische Frankreich vom Minister abwärts als Top-innovative Agro-Supermacht präsentiert mit teils sehr überzeugenden Argumenten und handfesten Fakten. Ich war als Teil einer internationale Agrarjournalistentruppe drei Tage in Frankreichs renommiertester Agrarregion unterwegs: der Champagne…

Ja, bestätigt Didier Guillaume, der französische Landwirtschaftsminister auf meine Frage hin, die Suizidrate unter Landwirten ist in Frankreich beschämend hoch. Die höchste aller Berufsgruppen. Und dieser Umstand sei unerträglich. Sichtlich war ihm auch meine Frage wenn schon nicht unerträglich, so doch unangenehm. Wir, das heißt meine 20 internationalen Kollegen, unsere französischen Reisebegleiter und die Simultandolmetscherin sind zu einem frühabendlichen Presseempfang in die prächtig-imperialen Räumlichkeiten des Landwirtschaftsministeriums im Herzen von Paris geladen.

Didier Guillaume, der französische Landwirtschaftsminister auf der PK für uns Agrarjournalisten

 

Der Minister nutzt die Gelegenheit um uns wortreich die Stärken der französischen Landwirtschaft zu präsentieren. Die führende Rolle betont er, die Frankreich bei der Gestaltung der GAP einnimmt. Die Agrargroßmacht Europa habe nur dann eine Chance am internationalen Parkett gegenüber USA, China und Südamerika nicht noch mehr ins Hintertreffen zu geraten, wenn sie stärker als bisher an einem Strang zieht. Wenn sie sich nicht in nationalen Alleingängen verliert und dadurch schwächt. Er werde sich – ganz Politiker – stark machen dafür, dass trotz des anstehenden Brexits und damit verbundener Einbußen für das EU-Gesamtbudget jedenfalls nicht bei der Landwirtschaft gespart wird. Das höre ich nicht zum ersten Mal, allein, mir fehlt der Glaube…

... die Suizidrate unter Landwirten ist in Frankreich beschämend hoch. Die höchste aller Berufsgruppen.

Klimawandel gibt die Richtung vor

Frankreich jedenfalls sei eine echte Agrar-Lokomotive in Europa und der Welt, habe die Zeichen der Zeit erkannt und erfolgreich ins Visier genommen. Den Klimawandel etwa als DIE Herausforderung schon lange erkannt und alle strategischen Ziele daraufhin ausgerichtet.

Zuvor schon hatten uns im „Haus der Milch“ die Verbandsvertreter der französischen Milch-, Fleisch-, Getreide-, Obst- und Gemüsebranche, der Saatzucht sowie eine hochrangige Forscherin aus dem Bereich Pflanzenschutz so ungefähr dasselbe Bild der französischen Landwirtschaft zu vermitteln versucht. Hoch innovativ, am Puls der Zeit, am Ohr der Gesellschaft, im Auge der Forschung. Ich glaube das alles gern, zumal es auch mit zahlreichen Fakten unterlegt wird.

Französischer Chic im "Haus der Milch"

 

So beeindrucken mich etwa die über 90 Prozent regelmäßig geweideter Milchkühe. Und ich denk mir, warum können wir das in Österreich nicht, was die zweitgrößte EU-Milch-Nation kann? Aber auch die Fleischkühe kommen immer häufiger auf die Weide, wie uns der zuständige Verbandsmächtige erklärt. Dadurch trage man dem Konsumentenwunsch nach mehr Tierwohl ebenso Rechnung, wie es den Klimaanpassungsstrategien dient. Er selbst habe seine eigenen Mastrinder schon vor Jahren wieder auf die Weide geschickt. Wirklich erstaunliche und vorbildliche 80 Prozent der Futterration für französische Fleischrinder machen Gras und Heu aus und 92 Prozent des gesamten Futters werden hofeigen produziert. Das nenn ich schon konsequent regional und standortgerecht.

So beeindrucken mich etwa die über 90 Prozent regelmäßig geweideter Milchkühe. Und ich denk mir, warum können wir das in Österreich nicht, was die EU-Milch-Nation Nummer eins kann?

Pestizidfreie Landwirtschaft?

Die Getreide, Obst und Gemüsebranche lässt wissen, dass ihre Strategie zur langfristigen Reduktion von Pestiziden im langjährigen Schnitt mit klaren Erfolgen punktet. Wobei die beiden letzten Jahre aufgrund der extremen Witterung dem Trend widersprechen. Der Agrarminister selbst überrascht uns im Anschluss alle mit der klaren Ansage, dass die französische Landwirtschaft pestizidfrei werden soll. Weil wir glauben uns verhört zu haben, wird nachgefragt. Ob er nicht etwa nur ein nationales Verbot von Glyphosat damit meine? Das sowieso, aber nein, wir hätten schon richtig gehört: keine Pestizide mehr. Das sei das Ziel. Ich bin äußerst verblüfft und behalte mir vorerst diese Aussage gut im Kopf. Bei nächster Gelegenheit werde ich einen Praktiker damit konfrontieren.

Hoch innovativ, am Puls der Zeit, am Ohr der Gesellschaft, im Auge der Forschung. So sieht sich Frankreichs Landwirtschaft selbst

 
Verpflichtende Herkunftskennzeichnung bei verarbeiteten Lebensmitteln

Sehr spannend finde ich dann auch die Aussagen zur verpflichtenden Herkunftskennzeichnung bei verarbeiteten Produkten, wie sie Frankreich bereits in einer Testphase umgesetzt hat. Des Ministers glasklare Ansage: Der Konsument in jedem EU-Land hat das Recht zu erfahren, woher die wesentlichen Zutaten in verarbeiteten Lebensmitteln kommen. Punkt aus basta. Ein gedachtes Bravo! dazu von mir. Nicht weniger als das fordert die Agrargroßmacht Frankreich auf europäischer Ebene.

Das würde den Bauern zu Gute kommen, da ist er sich sicher. Überhaupt – und wir sind wieder beim dunklen Generalthema „Bauernsterben“ – muss mehr vom Wertschöpfungskuchen beim Primärproduzenten verbleiben, schließlich sei der ökonomische Druck auf so manchen Bauern eine der Hauptursachen für den fatalen Schlussstrich. Neben dem zunehmenden Agri-Bashing, also den Anfeindungen, denen Bauern sich auch in Frankreich mehr und mehr ausgesetzt sehen, sowohl im realen als auch virtuellen sozialen Feld. Da fallen mir doch sofort die zeitgleich stattfindenden Bauernproteste in Holland und Deutschland ein. Überall dasselbe.

Den Bauern Sinn und Stolz zurückgeben - DIE Aufgabe der Agrarbranche allerorten

 

Aber zurück zu den wirtschaftlichen Ursachen des „Bauernsterbens“. Der Minister rechnet anhand von einem Kilo Rindfleisch vor, wie schief hier der ökonomische Haussegen hängt beim Bauern. Dieser bekomme von den 15 Euro, die der Kunde dafür im Supermarkt bezahlt gerade einmal 3,50 Euro. Dabei hatte er Produktionskosten von 5 Euro. Das müsse sich langfristig ändern. Ja eh, denk ich mir, die Forderung kommt mir sehr bekannt vor, aber wie? Zum Beispiel durch radikales Anti-Dumping, durch das Verbot der ausufernden Aktionitis, des 1+1 gratis etc. Wow, wiederum überrascht mich hier die klar formulierte Forderung. Er, der Minister will dazu die vier großen Retailer des Landes (wie sich die Dinge doch gleichen!) in die Pflicht nehmen. Viel Glück dazu…

Volle zwei Stunden nimmt sich der Spitzenpolitiker für uns Journalisten Zeit, bevor er sich höflich empfiehlt und uns die bereit gestellten französischen Spezialitäten ans Herz legt. Das muss er nicht zweimal sagen.

Der Konsument in jedem EU-Land hat das Recht zu erfahren, woher die wesentlichen Zutaten in verarbeiteten Lebensmitteln kommen.

Heikles Thema Agrarsubventionen: Capping pro und contra

Auf der Fahrt durch Paris zur den langen Tag abschließenden Dinner-Debatte, nutze ich die Gelegenheit die rumänische Teilnehmerin auf das Thema Agrarsubventionen anzusprechen. Sie hatte nämlich den Minister nach der Position Frankreichs zur innerhalb der GAP so umstrittenen Festlegung einer Obergrenze für Agrarsubventionen gefragt. Worauf dieser erwiderte, dass Frankreich sich hier anders als Rumänien oder auch Bulgarien klar für das sogenannte Capping ausspreche. Wie es etwa auch Österreich anstrebt. Mir war die Position Rumäniens nicht bekannt und ich wunderte mich ihr gegenüber ganz offen, dass diese laut Statistik nach wie vor extrem kleinstrukturierte Landwirtschaft sich offiziell zugunsten der großen Betriebe, zugunsten der Agrarindustrie ausspricht. Anstatt, wie Österreich oder eben auch Frankreich, hier das Kuchenstück für die kleinen Betriebe dadurch zu vergrößern versucht, dass man den großen etwas wegschneidet.

 

Ein Selfie mit Chris McCullough (Nordirland) und der rumänischen Kollegin Mirela Scarlat, die ihre eigenen Ansichten zum Thema Capping hat

 

Sie meint darauf, diese von mir ins Treffen geführten kleinen rumänischen Bauern, seien in ihren Augen gar keine echten Lebensmittelproduzenten. Seien es nie gewesen. Produzierten nach völlig veralteten Methoden hauptsächlich für den Eigenbedarf. Das könne man mit der österreichischen Landwirtschaft überhaupt nicht vergleichen, wo die kleine Struktur nicht im Gegensatz zu echter Produktivität stehe. Sie als gut ausgebildete Städterin sehe überhaupt nicht ein, dass ihr Steuergeld in eine vorgestrige Struktur einzahle, wovon die städtische Bevölkerung nichts hat. Rumänien brauche vielmehr dringend Kapital, um moderne landwirtschaftliche Strukturen aufzubauen. Wenn jetzt durch Capping weniger EU- Mittel zusätzliche Investitionsanreize bieten würden, wird aus ihrer Sicht diese Entwicklung gefährdet. Sie selbst habe ein agrarisches Startup gegründet, um der heimischen Landwirtschaft Impulse zu geben. Wow, so habe ich das noch nie gesehen. Das ist das super Spannende an diesen internationalen Pressereisen, dass du mit hoch interessanten Standpunkten von Insidern aus anderen Ländern konfrontiert wirst, die dein bisschen „Wissen“, wie es dort so zugeht, zurechtbiegen.   

Die Situation in Rumänien könne man mit der österreichischen Landwirtschaft überhaupt nicht vergleichen, wo die kleine Struktur nicht im Gegensatz zu echter Produktivität stehe.

Agroconsulting für die ganze Wertschöpfungskette

Die Dinner-Debatte dann bildet den Tagesabschluss und wiederum viel Input, der zu denken gibt- und zu verdauen, ok, was die abermals gereichten französischen Leckereien betrifft. Zuvor aber eher schwere Kost beim Vortrag von Michel Portier, dem Ex-Landwirt und Firmengründer von Agritel, eines Agrar-Consulting-Unternehmens. Die simple Idee dahinter: Angesichts extrem volatiler Märkte könnten sich alle Glieder der agrarischen Wertschöpfungskette durch gezielte Marktbeobachtung entscheidende Wettbewerbsvorteile einhandeln. Nur habe der einzelne Bauer, aber auch die Genossenschaft, die Erzeugergemeinschaft, genauso der Verarbeitungs- bzw. Industriebetrieb und letztlich auch der Retailer in den Mühlen des Daily Business keine Zeit dafür und könne wohl auch nicht die Unmengen an Zahlenmaterial bestmöglich für die eigenen Zwecke interpretieren. Außerdem müsse man ob der Unwägbarkeiten und blitzschnell sich ändernden Situation an den Agrarrohstoff-Handelsplätzen schon direkt am Ort des Geschehens sein. Das macht nun für eine entsprechende Summe das kleine Consultingunternehmen mit seinen drei Standorten: Paris, Kiew und Shanghai. Und zwar für die Branchen Milch, Fleisch, Getreide, Zucker und Ölsaaten im Wesentlichen.

Ich will wissen, wie so eine Dienstleistung für eine Milchbauern zum Beispiel aussehen könnte. Ob man ihm angesichts sich abzeichnender fallender Milchpreise dann raten müsse, seine Kühe zu verkaufen. Nein, meint Mr. Portier, da würde man ja einen Kunden verlieren. Aber man könne etwa raten sich beim Futtermittelkauf zurückzuhalten, sich jetzt keinen Milchroboter anzuschaffen oder was auch immer. Und einem Getreidebauern könne man natürlich etwa raten seinen Weizen jetzt noch nicht zu verkaufen, sondern noch ein wenig zuzuwarten. Die Ratschläge für andere Teilnehmer der Wertschöpfungskette würden dann natürlich jeweils entsprechend anders lauten. Aber man könne ihnen allen jedenfalls zur selben Zeit wertvolle Ratschläge geben obwohl sie innerhalb derselben Wertschöpfungskette quasi natürliche Konkurrenten um den ganzen Kuchen seien. Mein Kollege Branco aus Slowenien will das nicht glauben und sagt das auch: entweder man diene den Kleinen oder den Großen. Gleichzeitig allen, das sei unmöglich. Und ich denk mir, jetzt sollen alle in der Wertschöpfungskette besser aussteigen UND noch zusätzlich der Consulter etwas vom Kuchen haben – da muss Magie im Spiel sein. Aber ich gebe zu, dass ich das internationale Börsenspiel noch nie verstanden habe.

Mit entsprechend vollem Kopf – und Magen geht’s ins Hotel, wo ich mir ein winziges Zimmer mit meinem alten Buddy Chris aus Nordirland teile.