Bio nichts als ein Marketingschmäh?

19.09.2016 / Essen & bewusster Konsum, Landwirtschaft & Lebensmittelproduktion

  • Bio ist auf den Punkt gebracht nicht viel mehr als eine Gewissensberuhigung jener, die sich’s leisten können, ohne Mehrwert für Mensch, Tier und Umwelt.
  • Bio-Produkte sind weder gesünder noch nahrhafter noch schmackhafter.
  • Bio schneidet in der Ökogesamtbilanz nicht nur nicht besser ab, sondern sogar schlechter, wenn man den CO2-Ausstoß nicht auf die Fläche sondern den Ertrag umlegt.
  • Weltweite Umstellung auf Bio würde enorme Kosten erzeugen und zu einer Hungerkatastrophe nie dagewesenen Ausmaßes führen.
  • Biologisch gehaltene Tiere sind noch nicht einmal signifikant gesünder.

 

Das alles behauptet der sehr einflussreiche und einschlägig bekannte dänische Wissenschaftler Björn Lomborg in einem jüngst veröffentlichten und mit zahlreichen Verweisen auf wissenschaftliche Studien ausgestatteten Artikel. In einschlägigen Foren wird dieser nun äußerst kontroversiell diskutiert. 

Ich habe mir den Artikel und dessen zitierte Studienauszüge ganz genau durchgelesen und versuche mich hier einmal in einer Entgegnung. Um es vorweg zu nehmen: Ich halte den Artikel von Lomborg für ein tendenziöses Machwerk und ein Musterbeispiel manipulativen Journalismus. Von Wissenschaft, wie ich sie verstehe, kann keine Rede sein. 

Die erste Frage: Auf wessen Mist gewachsen?

Weil ich es mir zusehends zum Prinzip mache, als allererstes der Glaubwürdigkeit eines Autors auf den Zahn zu fühlen, beginne ich damit. Und zwar der Glaubwürdigkeit im Kontext seiner „Öffentlichkeitsarbeit“, um das Ding beim Namen zu nennen in einer Zeit, wo die hehre Wissenschaft nur allzu oft im Würgegriff ökonomischer und politischer Interessen, ihre Unabhängigkeit aushaucht und zum Marketingtool verkommt.

Dumm ist er nicht der Herr Lomborg. Er weiß als Statistikprofessor, wie man Studien und statistisches Material selektiv abscannt, einzelne Data überinterpretiert, andere geschickt unter den Teppich kehrt und das Ganze als zwar überraschendes, aber doch ausreichend wissenschaftlich unterfüttertes Ergebnis präsentiert. Das hat er sehr zum Ärger einiger hoch dekorierter Kollegen aus der Forschung, wie zum Beispiel des „Nobelpreis-Weizsäckers“ (ich nenn ihn so, um ihn vom Politiker-Bruder schnell unterscheidbar zu machen) immer schon gern getan. Weizsäcker schrieb etwa im Zusammenhang mit Lomborgs seinerzeit in neoliberalen Kreisen sehr populären „Entwarnungsschrift“ in Sachen Klimaerwärmung Apocalypse No!: „In seiner Heimat Dänemark gibt [es] eine eigene Webpage ‚Lomborg Errors‘, die akribisch viele seiner Fehler aufspießt. Man könnte die Webseite auch ‚Lomborgs bequeme Unwahrheiten‘ nennen. Denn bequem sind seine Verharmlosungen vor allem für die, die ihre trüben Geschäfte ungestört weiter betreiben wollen.“  Weizsäcker wirft dem „Kollegen“ insgesamt vor, mithilfe von unpassenden Vergleichen und irreführendem Zahlenmaterial soziale und ökologische Probleme zu verharmlosen.

Genau dasselbe Spiel betreibt Lomborg nun in seinem Bio-Bashing-Artikel. Zwischenzeitlich musste Lomborg übrigens in Sachen Klimaerwärmung kräftig zurück rudern als er im August 2010 eingestand, dass jährlich 100 Mrd. US-$ nötig wären, um den Klimawandel zu bekämpfen. Es sei Tatsache, dass es eine globale Erwärmung gebe, dass sie vom Menschen verursacht werde und dass etwas dagegen getan werden müsse. So viel einmal vorläufig zur Halbwertszeit der streng wissenschaftlichen Zukunftsprognosen des Herrn Lomborg. Diesen begegnen wir nämlich auch im vorliegenden Artikel. Ich komme darauf zurück. Jetzt aber zu den Aussagen Lomborgs im Einzelnen.

bequem sind seine Verharmlosungen vor allem für die, die ihre trüben Geschäfte ungestört weiter betreiben wollen C. F. v. Weizsäcker

Biologische Lebensmittel sind nicht gesünder und nicht besser für Tiere und Umwelt?

Damit hebt er an. Ja, wie gesagt, dumm ist er nicht, er weiß, was seine Pappenheimer interessiert. Die eigene Gesundheit, das Mitgeschöpf Tier und dann noch ein bisschen „die Umwelt“. Und jetzt also her mit den Studien, wo immer sie zu finden sind und was immer dann damit verglichen werden kann.

Man nehme etwa eine Studie aus den USA (wo Lomborg übrigens die meisten seiner Studien gefunden hat) die konventionelle und biologische Lebensmittel tierischer Herkunft hinsichtlich ihres Gesundheits- und Nährstoffwertes vergleicht und im Abstract zu dem Schluss kommt „the results of scientific studies do not show that organic products are more nutritious and safer than conventional foods.“ Also hat er doch Recht, der Lomborg? Naja, zwei Zeilen weiter steht dort: „The data available in the existing literature is often conflicting, even if the differences are often associated with breeds suited to organic vs. conventional production systems. In order to have a clear understanding of the role that ‚organic effect‘ plays on animal foods, further research is necessary.“ Damit ist aus der einseitigen Aussage, wonach kein Unterschied festzustellen sei, auch schon die komplette Luft draußen. Die Daten sind nicht eindeutig, sie widersprechen sich. Differenzen ergäben sich oft genug aus unterschiedlichen Züchtungen, welche in biologischer und konventioneller Tierhaltung zum Einsatz kommen. Ja eben! Biologische Hühnermäster verwenden beispielsweise eine andere, langsamer wachsende Genetik. Ja was soll denn das anderes sein als ein „organic effect“? Aber die diensteifrige conclusio vorneweg: „kein Unterschied“. Und das ebenfalls einschränkende „further research is necessary“ steht viel zu weit unten, das liest kein Schwein mehr. Das Resultat ist ja schon hinaus posaunt. So viel hier exemplarisch zur wissenschaftlichen Redlichkeit der von Lomborg herbei zitierten Studien. Ich habe jede seiner Studien daraufhin seziert, und überall Ähnliches gefunden. Entweder die Studie selber ist schon tendenziös in der Generalaussage, wie das obige Beispiel belegt, oder Lomborg macht sich die Mühe und nimmt daraus, was seiner Argumentation dient und vergisst halt auf Differenzierungen, Einschränkungen, Relativierungen, Hinweise auf widersprüchliche und/oder unzureichende Datenlage.

Aber weiter geschaut. Das nächste Argument von Lomborg scheint besonders überzeugend und schwer widerlegbar.

Ökobetriebe brauchen mehr Anbaufläche

Jetzt geht’s um die Effizienz, die Ertragsstärke, den Output pro Fläche. Und es geht ins Große gerechnet um das ewige Problem der Welternährung. Zunächst konzediert Lomborg geschickt: „Ein Ökobetrieb verbraucht weniger Energie, emittiert weniger Treibhausgase, Stickstoffoxid und Ammoniak und verursacht weniger Bodenversauerung.“ ABER: „…der Ernteertrag fällt auch sehr viel geringer aus. Um dieselbe Menge Weizen, Spinat oder Erdbeeren zu ernten, braucht es viel mehr Ackerland. Im Endeffekt produziert der ökologische Anbau genauso viel Klimagase wie die konventionelle Landwirtschaft – aber zehn Prozent mehr Stickoxid, Ammoniak und Bodenversauerung.“ Wumm, das hat gesessen. Das mit den zehn Prozent mehr… muss man ihm freilich glauben, die wissenschaftliche Studie, die das belegen würde, fehlt hier eigenartigerweise. Aber egal, ob es diese (hypothetischen) Studien gibt oder nicht, das eigentlich Problematische ist das Aufrechnen und damit Ausspielen gegenwärtiger globaler Produktionssysteme an einem ausgewählten Parameter: Produktivität, unter Auslassung einer ganzen Reihe anderer nicht minder relevanter Aspekte. Diese hat Felix Prinz von Löwenstein, Vorsitzender im Vorstand des "Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft“ in Deutschland hier in einer Entgegnung auf Lomborg sehr schön zum Ausdruck gebracht, auch wenn mir seine Antwort punktuell ebenfalls ins Propagandistische abzugleiten scheint. Bio-Propaganda in diesem Fall und tendenziell leichtes Konventionellen-Bashing unter Zuhilfenahme ebenfalls „ausgewählter“ Studien und Hochrechnungen aus statistischem Material. Insgesamt aber verfährt Löwenstein m.E. wesentlich seriöser und fairer als Lomborg.    

Was meine ich mit nicht fair und unseriös? Dazu ein besonders perfides Lomborg-Zahlenspiel. Er rechnet vor: „Wenn man die Gesamtmenge an Lebensmitteln, die in den Vereinigten Staaten jeden Tag konsumiert werden, ökologisch produzieren würde, müsste die landwirtschaftliche Nutzfläche um die Gesamtfläche Deutschlands und Österreichs vergrößert werden.“ Und diese Fläche gibt es natürlich nicht. Und wenn ich das seltsame Zahlenspiel weitertreibe, komme ich dorthin, wo so viel hinkommen, nämlich zur Behauptung:

„Bei weltweiter Ökolandwirtschaft würden Milliarden hungern“,… 

wie sie wortwörtlich in einer Zwischenüberschrift zu lesen ist. Wahnsinn, das gibt schon zu denken, nicht wahr? Was darauf entgegnen? Vielleicht das: Wenn ich jenes Lebensmittelpensum, das in den USA jeden Tag konsumiert (zu schweigen von dem, was sinnloserweise weggeworfen!!!) wird, für die ganze Welt produzieren wollte, bräuchten wir heute schon und trotz effizientester, höchst produktiver Landwirtschaft einen zweiten, wahrscheinlich einen dritten Planeten. Nebenbei erwähnt, obwohl es ein Kardinalthema wäre, führt die Art und Weise, wie sich US-amerikanische Kinder und Jugendliche heute ernähren, dazu, dass deren durchschnittliche Lebenserwartung niedriger ist als die ihrer Elterngeneration. Das ist neu in der Geschichte der USA. Bisher ging es hier immer bergauf...

Es kann also gar nicht das Ziel sein für eine ökologischere Landwirtschaft, die ganze Erde mit amerikanischen Verhältnissen zu „beglücken“ – wir Europäer sind in dieser Hinsicht übrigens nur ein bisschen besser und wir holen fleißig auf. (Ich habe hier unlängst über Lebensmittelverschwendung geschrieben). Vor allem wird viel zu viel Fleisch produziert und konsumiert! Da werden Kühe beispielsweise in gigantischen sogenannten Feedlots mit nicht wiederkäuergerechtem Futter, das heißt mit Unmengen an Getreide gemästet, wodurch im Anbau Flächen gebunden werden, die direkt für die menschliche Nahrung weit effizienter genutzt werden könnten. Wenn ich das als Maßstab her nehme und hochrechne, dann hab ich freilich die Hungerkatastrophe herbei gerechnet, mit der ich Eindruck schinden kann.

Eindruck schinden ist das Stichwort. Mit Zahlen geht das immer noch am besten, nicht wahr? Also die nächste aus dem Ärmel geschüttelt. Noch einmal das Beispiel USA (das ist schon sehr vielsagend, dass Lomborg sich so gern dort aufhält in seinen Rechenhirngespinsten). Noch einmal die Umstellung auf BIO-USA (übrigens sowieso ein blödsinniges Ansinnen, weil der Bio-Gedanke an und für sich nichts gewalttätig Missionarisches hat. Kein Mensch irgendwo auf der Welt denkt daran die Landwirtschaft per Dekret von heute auf Morgen auf Bio umzustellen – nur Herr Lomborg tut so, als drohe diese Gefahr!) Tja und eben die Kosten! 200 Milliarden US-Dollar würde die Umstellung kosten aufgrund der niedrigeren Produktivität. Und jetzt kommt mein Lieblingssatz: „Geld, das für Krankenhäuser, Senioren, Schulen und Infrastruktur fehlen würde.“ Und alles wegen BIO! Und weil das noch nicht absurd genug ist, lässt er gleich noch eine schöne Anzahl Menschen wegen der unmittelbar drohenden BIO-Umstellung in den USA hopsgehen. „Welche Auswirkungen diese hohe Summe auf die Mortalität haben würde, zeigt eine andere Untersuchung. Sie belegt, dass der Rückgang des Vermögens einer Nation um 15 Millionen US-Dollar statistisch gesehen ein Leben kostet. (…) Die Ökologisierung der Landwirtschaft in den USA würde also jedes Jahr mehr als 13.000 Menschen das Leben kosten.“ Das setzt dem Bio-Bashing-Fass dann endgültig die Krone auf, würd ich sagen.