ALPE: Arbeit Leben Plage Erfolg

19.07.2019 / Landwirtschaft & Lebensmittelproduktion

Im kleinsten Bundesland Österreichs, im Ländle, wird die LIEBE zur Alm groß geschrieben. „Alm“ aber sagen sie dort gar nicht dazu. Das klingt ihnen zu weich. Das passt nicht. Alpe ist ihr Wort. Da klingt jenes Harte und Widerständige mit an, das eben auch zu dieser Urform alpiner Landwirtschaft gehört. Immer schon und heute nicht anders. Im Rahmen der Almwirtschaftlichen Tagung war ich zwei Tage auf Alpen im Bregenzer Wald unterwegs. Hab Almluft inhaliert, Gespräche auf hohem Niveau (alle gscheit über 1000 m ;-) geführt, mich in den besten Käse und eine der schönsten Landschaften Österreichs verbissen und einmal mehr erfahren, warum ich die Alm liebe…

 

Schon die Anfahrt in den Bregenzer Wald über das Tiroler Hahntennjoch säumen Almkühe und Jungtiere an diesem herrlichen Sommertag. Auf dieser beliebten und entsprechend vielbefahrenen Motorradstrecke ist mir als altem Biker immer ein bisschen mulmig zumute, wenn ich die Rindviecher direkt am Straßenrand sehe. Nicht nur wegen dem Schreckgespenst einer direkten Kollision. Schon ihr Verdauungsprodukt, in unübersichtlichen Kurven entladen, macht die Kuh zum natürlichen Feind des Motorradfahrers.

Aber die Kuh hat halt den Zweirad- und allen anderen -Touristen ein paar Hundert Jahre Almnutzung voraus. Besser gesagt: Ohne die Kuh, um das gleich vorweg auf den Punkt zu bringen, worum es in dem ganzen Blog gehen wird, ohne die Kuh gebe es das alles hier gar nicht! Keine Nutzung, keine Straße, keine geilen Kurven für Motorradfahrer. 

... ohne die Kuh gebe es das alles hier gar nicht! Keine Nutzung, keine Straße, keine geilen Kurven für Motorradfahrer.

Hätten unsere Bauern mit ihrem lieben Vieh nicht schon vor hunderten Jahren diese schwer zugänglichen Gegenden als Almweiden erschlossen, dann wäre hier heute noch Wald, weiter oben Latschen und noch weiter oben unzugängliches Gesträuch. Hätten unsere Bauern hier nicht gerodet und danach durch ständige Beweidung und zusätzliche Schwendarbeiten die oft steilen Flächen vor dem Wiederzuwachsen bewahrt, sich diese unendliche Plage und Mühsal abverlangt, ihr Vieh hier rauf zu treiben und es zu behirten, diese harte Arbeit Jahr für Jahr, Sommer für Sommer, dann, ja dann hätte ich hier heute gar nichts verloren.

 

... die oft steilen Flächen... 

 

Wo das Almwesen hoch und heilig gehalten wird

Und auch nicht die folgenden Tage in der traumhaften schönen Gegend des hinteren Bregenzer Waldes, wo das Almwesen hoch und heilig gehalten wird. Vielleicht wie nirgendwo sonst in Österreich. Das sage ich als Tiroler, der auf Tiroler Almen immerhin 9 Sommer als Hirt verbracht hat. Dazu kommen noch zwei auf Schweizer Almen.

Die Schweiz und ihre Form der Bealpung kommen mir denn auch bald in den Sinn, wenn ich sehe, wie es die Vorarlberger machen. Vor allem, wenn ich sehe, was sie machen. Käse nämlich. Auf der Alpe. Alpkäse. Auf jeder vierten der insgesamt 520 Vorarlberger Alpen wird gekäst. Zum Vergleich: Das almstärkste Bundesland Tirol hat etwa viermal so viele Almen, aber nur 9 Prozent der dort gemolkenen Milch werden auch vor Ort verkäst, während also über 90 Prozent der großartigen Almmilch ins Tal gekarrt werden und dort mit der Talmilch zusammen verarbeitet– zumindest bis dato. Wenn ich sage großartige Almmilch, dann ist das übrigens nicht nur so daher gesagt. Zahlreiche Untersuchungen attestieren der Almmilch klare ernährungsphysiologische Vorteile gegenüber der im Tal gemolkenen. Etwa deutlich höhere Beta-Carotin Gehalte, welche antioxidativ wirken, also einen Schutzfaktor im Körper darstellen.  

Vorarlberger Alpkäse

Der beste Käse Österreichs. Behauptet zumindest Josef Rupp. Josef Rupp liebt die Alpe. Das kauft man ihm ab. Ihm, dem Schmelzkäsegiganten, der seinen Käse in alle Welt verkauft. Hier, sagt er, auf der Alpe hat sein globales Unternehmen seine Wurzeln. Das vergisst er nicht. So wenig wie er die eigene Zeit auf der Alpe vergisst. Dabei macht Alpkäse heute gerade mal ein halbes Prozent der Gesamtproduktion des Unternehmens aus. 50.000 Tonnen Käse produziert Rupp im Jahr. 250 Tonnen Alpkäse werden von Rupp übernommen und vermarktet. Das ist gut die Hälfte der gesamten Alpkäseproduktion des Ländles. So viel zu den Größenordnungen. Gefragt nach der Bedeutung, die Alpkäse für Rupp geschäftlich habe, lautet die Antwort lapidar „keine.“ Keine Bedeutung in ökonomischer Hinsicht, wenn man den globalen Maßstab ansetzt. Vielleicht ist das der falsche Maßstab? Sicher sogar!

50.000 Tonnen Käse produziert Rupp im Jahr. 250 Tonnen Alpkäse werden von Rupp übernommen und vermarktet. Das ist gut die Hälfte der gesamten Alpkäseproduktion des Ländles. So viel zu den Größenordnungen.

Mythos Alm – vom Nutzen des scheinbar Unbedeutenden

Wer die Alm nach globalen Maßstäben und nur nach ihren ökonomischen Kennziffern beurteilt und es damit auch schon gut sein lässt, der ist schlecht beraten. Er vergeht sich an ihr schon im Ansatz. Geht schnurstracks an ihr vorbei. Wird nie „dort oben“ ankommen. Nie wird er ihrem Zauber erliegen, nie von diesem sich zu Gedanken verführen lassen, die dem kühl rechnendem Verstand für einmal entkommen, dem kurzsichtigen Kosten-Nutzen-Rechnen ein Schnippchen schlagen und sich gerade deshalb auszahlen!

Die Alm ist ein einziger Umweg. Nein: Viele Umwege, ein ganzes Wegenetz, das sich seit Generationen zwischen den Tallagen und den alpinen Höhen erstreckt. Das verbindet. Ganz nüchtern und materiell gedacht durch die Straßen, die Tal und Berg verbinden. Aber genauso wichtig ist die immaterielle, geistige Verbindung, die von der Alpe ausgeht, diesem „Seelenschutzgebiet“. 

Seelenschutzgebiet

Dieses schöne und zutreffende Wort hab ich von Erich Schwärzler. Erich ist Obmann der österreichischen Almwirtschaft und Genius loci hier im Bregenzer Wald. Als langjähriger Agrarlandesrat in der Vorarlberger Landesregierung hat er maßgeblich die politischen Weichen für die Alpwirtschaft im Ländle in die Zukunft gelegt. „Seelenschutzgebiet“, was für eine klug gewählte Bezeichnung.

Wer das Erfolgsgeheimnis der Alm erfahren will und warum sie seit Jahrhunderten eine ungebrochene Faszination auf so viele Menschen ausübt, warum sie bis heut Quelle von Inspiration und Innovation ist, der hat zwei Möglichkeiten. Die erste: Er arbeitet auf ihr. Er wird Älpler und verfällt so ihrem unwiderstehlichen Charme. Dieser Weg ist mit Schweiß und Mühsal gepflastert und wird wohl zu jeder Zeit nur von ganz wenigen beschritten.

Der zweite Weg ist für alle gangbar. Der zweite Weg, das habe ich in meiner Almzeit immer wieder erfahren dürfen, wird von ganz vielen Menschen intuitiv begangen. Der zweite Weg ist ein geistiger Weg, auf dem sich jeder schon befindet, der sich bei der Erwähnung des Wortes Alm einer Ahnung nicht verschließt, die bereits in ihm wohnt.

Was ich damit meine, möchte ich nur an einem kleinen Beispiel illustrieren. Um rechtzeitig den Almdienst antreten zu können, während meiner Studienzeit, musste ich regelmäßig den ganzen Juni über frei bekommen. Jeder, der studiert hat, weiß, wie sich manche Professoren anstellen können, wenn ein Student einen ganzen Monat frei braucht und noch dazu den letzten vor den großen Ferien: Womöglich Pflichtseminare, Blockveranstaltungen dadurch versäumt und extra Prüfungstermine braucht! Ich hatte – und ich war wirklich total überrascht davon und es hat mir zu denken gegeben – ich hatte NIE ein Problem damit. Sprach ich das Zauberwort Alm aus, zeigte sich sofort äußerstes Entgegenkommen von professoraler Seite in den heiligen Hallen meiner „Alma Mater“ (= Universität). Vielleicht wegen der Namensähnlichkeit, die aber leider nicht auf eine gemeinsame Wortherkunft verweist. Das Wort „Alm“ oder „Alpe“ leitet sich vom althochdeutschen „alba“ (Hochweide) ab und hat mit dem lateinischen „Alma Mater“ (wörtlich so viel wie „Nährende Mutter“ nach der römischen Muttergottheit Alma) scheinbar nichts gemein. Nun ja, nährend UND gütig kann die Alm schon sein, aber als Alpe eben auch Mühsal und Plage…

Selbst "Sauwohl" schreibt man auf der Sennalpe groß

 

Die Alm fasziniert

Die Alm weckt tiefwohnende Assoziationen in den Seelen ganz vieler Menschen, die ansonsten mit der Landwirtschaft wenig bis gar nichts am Hut haben. Das habe ich immer wieder erfahren dürfen. Schönes, Geheimnisvolles, Romantisches kommt der Seele in den Sinn, beim Klang des Wortes Alm. Da haben die Xi-berger schon recht irgendwie, wenn sie mit dem abweichenden „P“ in ihrem Wort Alpe, die Plage einmahnen, die auf der Alm nicht ausbleibt, die den Alltag bestimmt, weit mehr als jede Romantik. Dennoch gibt es das alles auch: Die Romantik, das Schöne, das Geheimnisvolle. Aber auch das ganz handfest Nennbare, das bestens Untersuchte und Dokumentierte, wie der ökologische Aspekt, die um ein Vielfaches höhere Artenvielfalt beispielsweise, die gerade eine regelmäßige Beweidung in diesen Höhen mit sich bringt. Der Quell- aber auch Hochwasser- und Lawinenschutz, der mit der Anwesenheit und Pflege dieser alpinen Hochflächen verbunden ist.

 

... um ein Vielfaches höhere Artenvielfalt...

 

Das gibt es alles, solange es Almen/Alpen gibt, Bauern, die ihr Vieh dort sömmern, Älpler, die sich den Arsch aufreißen. UND solange es Menschen im Tal gibt, die wissen, dass es etwas Besonderes, Wertvolles auf sich hat mit diesem Almwesen. Die auf Besuch kommen, hier Wandern, die Seele baumeln lassen, sich Geschichten von dort gerne anhören, die – und auch das ist wichtig –, die einverstanden sind, dass öffentliches Geld vom Tal sozusagen in die Höhe investiert wird. Weil – wie gesagt – nach engen ökonomischen Kriterien rechnen tut sich die Alm nicht. Josef Rupp beziffert den Preis, den ein Kilo Alpkäse erzielen müsste, müsste er allein als eigentliches materielles Produkt der Alpe diese finanzieren, mit 50 bis 100 Euro! Das geht sich knapp nicht aus, auch wenn ein gut gereifter Alpkäse durchaus einen stolzen Preis hat und haben darf! Vom Milchpreis will ich gar nicht erst anfangen.

Aber Josef Rupp sagt auch, dass der Alpkäse trotz seiner schon rein quantitativ fast vernachlässigbaren Größenordnung, dennoch sehr bedeutsam ist. Auch für ihn, den Käsegroßhändler. Als Botschafter nämlich wirke der Käse sozusagen in die Ferne und in die Zukunft. Der Gast aus Duisburg, der – im besten Fall auf einer der Almen, wo der Käse direkt vor Ort genossen werden kann –, nach vollbrachter Wanderung durch das „Seelenschutzgebiet“ sich diesen wunderbaren Käse einverleibt, wird diesen Genuss, dieses Einmalige nicht vergessen. Er trägt ihn als Sehnsucht gefühlt mit nach Hause. Und er wird auch im Ruhrpott dann Vorarlberger Berg- wennschon nicht -Alpkäse haben wollen und kaufen. Und er wird wiederkommen…

 

Geht die Kuh, geht der Gast – wen sollen wir dann noch melken?

Diesen „weisen“ Spruch, den in einem launigen Vortrag der selbsternannte „Käse-Caspar“ als gezielt gesetzte Pointe vom Stapel lässt, bringt vieles auf den Punkt, worum es in der Almregion Bregenzer Wald, nicht weniger als in Tirol, Salzburg, und in den anderen Almregionen geht, die auch und gerade von touristischer Bedeutung sind.

Das Zusammenspiel von Landwirtschaft und der damit untrennbar verbundenen Almwirtschaft, mit dem, was ökonomisch gesehen wirklich die Cash-Cow darstellt, dem Tourismus. Diese Cash-cow braucht die Milk-Cow oder alles geht den Bach runter. Versiegt der Milchfluss versiegt früher oder später auch der Geldfluss und die ganze Region wird unattraktiv, Abwanderung ist unvermeidlich, Infrastruktur wird zurückgebaut oder verfällt und eine Wiederbelebung erweist sich oft als ausgesprochen schwierig bis unmöglich. 

 

Diese Cash-cow braucht die Milk-Cow oder alles geht den Bach runter.

Dieses Schicksal ist nicht herbeigeunkt sondern hat einige Regionen in ehemaligen Almgebieten bereits eingeholt. Auf der Webseite der Österreichischen Almwirtschaft lese ich dazu: „Die Entsiedelung der oberen Berglagen und die fortschreitende Verwaldung nehmen in den entlegenen, tourismusarmen Seitentälern des Salzkammergutes sowie des Enns- und Steyrtales bereits bedrohliche Ausmaße an.“

Gerade bei den vielen jungen Älplern, mit denen ich in Vorarlberg sprechen durfte, habe ich diese Kraft und diese Freude und dieses Feuer gespürt.

Diese Almgebiete wiederzubeleben, wird immens schwierig sein. Ich glaube nicht daran. Mögen sie nicht zu Vorboten einer Zeit werden, wo ihr Schicksal sich auf weitere Almgebiete ausdehnt. Wo immer mehr und mehr Seelenschutzgebiete verloren gehen.

Ich will meinen langen Blog aber nicht mit diesen bedrohlich klingenden Tönen enden lassen. Vielmehr will ich an die Kraft und den Zauber der Alm, der Alpe glauben, der jene befeuert, die auf und für sie leben, sich ihrer annehmen. Gerade bei den vielen jungen Älplern, mit denen ich in Vorarlberg sprechen durfte, habe ich diese Kraft und diese Freude und dieses Feuer gespürt.