Mensch. Macht. Milch Teil 2

30.05.2016 / Landwirtschaft & Lebensmittelproduktion

Milch wird zur globalen Industrie – auch in Österreich?

Österreichs Milchwirtschaft steht vor einer der größten Herausforderungen ihrer Geschichte. Vielleicht steht sie vor einem Scheideweg. Im Folgenden werde ich die Unterschiede zur industrialisierten Form der Milchproduktion skizzieren. Und einen vorsichtigen Ausblick in die Zukunft wagen, die du als Konsument entscheidend mitbestimmen kannst.

Genossenschaft ist nicht gleich Genossenschaft

Sieht man sich die Geschichte der heutigen Molkereien in Österreich an, so haben alle einen ähnlichen Verlauf. Irgendwann in den späten 20ern bzw. 30ern des letzten Jahrhunderts schlossen sich in vielen milchproduzierenden Regionen mehrere Bauern genossenschaftlich zusammen, um gemeinsam stärker zu sein. Anfänglich hatte praktisch jedes größere Dorf seine „Sennerei“, die größeren Städte ihren „Milchhof“ oder ihre „Molkerei“. In meinem Heimatdorf im Tiroler Unterland beispielsweise schloss die Sennerei irgendwann in den 80ern ihre Pforten. Einige dieser Kleineinheiten bestehen jedoch bis heute und einige werden auch als Alternative zur Großform „Molkerei“ neu gegründet. Das Erfolgsmodell im großen Stil ist aber die Molkerei als Genossenschaft. Bis heute sind – mit einer namhaften Ausnahme – alle österreichischen Milchbetriebe genossenschaftlich geführt, d.h. in Bauernhand.

Der „Börsenbauer“ betritt die Szene

Auch wenn viele der ganz großen internationalen Player auf dem Milchmarkt nominell ebenfalls genossenschaftlich organisiert sind, so werden sie doch wie reine Industrie-Konzerne geführt. Dazu gehört, dass sie ab einer gewissen Größenordnung selbstverständlich auch Aktien auflegen. So wird der Bauer zum „Börsenbauer“ und besitzt statt Genossenschaftsanteilen jetzt Aktien. Ein derart an seine Shareholder und Investoren gebundenes Unternehmen wird über Produktionskostensenkung den Wert seiner Aktie steigern wollen. Das heißt beim Milchpreis für den Bauern ebenso einsparen wie bei Milch-Sammlung und Verarbeitung. Wo immer möglich, werden Kosten vermieden. Dieser Kostendruck wird „von oben nach unten“ weiter gegeben – am stärksten spüren ihn die Letzten in der Reihe, das sind die Milchkühe. Sie werden tendenziell zu einem reinen industriellen Kostenfaktor, ihre Milch zur „Industriemilch“. 

 

Mit einer namhaften Ausnahme sind alle österreichischen Milchbetriebe genossenschaftlich geführt, d.h. in Bauernhand.

 

Wie unterscheidet sich nun Milch made in Austria von der oben skizzierten „Industriemilch“?

Einmal müssen sämtliche Futtermittel „gentechnikfrei“ produziert sein.

Schon das hat erheblich höhere Kosten zur Folge. Österreich ist übrigens das einzige Land weltweit, dessen gesamte nationale Milchproduktion unter dem Label „gentechnikfrei“ firmiert! Mit dieser weitsichtigen Entscheidung hat sich Österreich eine Vorreiterrolle gesichert. In Deutschland etwa bemüht sich seit Jahren eine starke Lobby, es uns nachzumachen. Bisher ohne jeden Erfolg. Ironischerweise wird dieses Meisterstück im Ausland scheint‘s mehr honoriert als im eigenen Land. Ich wundere mich immer wieder, dass es viele gar nicht wissen!

 

 

Das zweite wichtige österreichische Spezifikum...

will ich am Beispiel des größten österreichischen Milchverarbeiters demonstrieren, der Berglandmilch-Gruppe. Deren größte Teilgenossenschaft ist die Tirol Milch. In Tirol mit seiner gebirgigen Topographie und den vielen Almen wird Milch unter ungleich höherem Aufwand produziert, als beispielsweise in den Gunstlagen Ober- oder Niederösterreichs. Jetzt ist der Zillertaler Almbauer mit seinen 8 Milchkühen Genosse vom „Großbauern“ aus dem Alpenvorland, der sagen wir 70 leistungsstarke Milchkühe im Stall stehen hat (womit er im internationalen Vergleich niemanden beeindruckt). Diese geben täglich locker 15mal mehr Milch als ihre Tiroler Kolleginnen. Darüber hinaus übersiedelt die Hälfte der Tiroler Kühe im Sommer auf die Alm. Das stellt für das Milchsammelwesen einen zusätzlichen logistischen Aufwand dar. 

Milchwirtschaft in Berggebieten wäre einfach nicht profitabel für Shareholder und Aktionäre

 

Anders ausgedrückt: bis die Tiroler Milchtankwagen voll sind, müssen viel mehr Fahrer viel öfter aussteigen und Milch absaugen, viel mehr Kilometer und Höhenmeter zurück legen – sprich Kosten verursachen. Beide Genossen aber bekommen denselben Preis für ihr Produkt. Macht das Sinn? Ist das fair? Sollte nicht der Tiroler weniger bekommen, weil er mehr Kosten für das Unternehmen verursacht? So läuft das auch schon in weiten Teilen Deutschlands etwa, wo der kleine Milchbauer einen geringeren Milchpreis erhält als sein größerer Kollege. So würde, so müsste (!) also zweifellos ein am Aktienmarkt operierendes Unternehmen denken und die Tiroler Schritt für Schritt wegrationalisieren. Milchwirtschaft in Berggebieten wäre einfach nicht profitabel für Shareholder und Aktionäre. 

 

..wirtschaften in benachteiligten Gebieten, 70% der Milch stammt aus Berggebieten

 

Na und? Magst du fragen, wenn das unprofitabel ist, dann gibt es halt keine Milchproduktion in Tirol. Ist ja mit anderen Produktionsstandorten genauso – wo sich was nicht mehr rentiert, wird zugesperrt. Tja und das ist eben der Knackpunkt, an dem der österreichische Sonderweg aus den rein ökonomischen Überlegungen ausschert. Die Genossen sagen: nein, wir halten die Produktion in Tirol. Wir bringen diese Solidarität auf. Es werden natürlich auch andere, sprich ökonomische Überlegungen mit im Spiel sein. Etwa die Marke „Tirol“, die auch international einen guten Klang hat – das ist schon klar. Was aber bringt diese österreichische „Milchehe“ dir und mir? Warum macht sie Sinn für unser Land?

Damit wäre ich bei einem dritten Spezifikum angelangt

Österreichs Milchproduktion basiert im Wesentlichen auf Grünfutter, sprich Gras. Dieses wächst überwiegend dort, wo sonst nichts bzw. nicht gut wachsen würde – im alpinen Grünlandgürtel nämlich, in dem mehr als 70% der österreichischen Milch produziert werden. Und es wächst auf hofnahen Flächen. Die Produktion in diesen aufwendiger zu bewirtschaftenden Regionen wird gestaffelt gefördert. Es gibt dafür sogenannte Bergbauernförderungen. Grob gesagt: je steiler, je unzugänglicher die Flächen, desto höher die Förderung. Die Produktion in den Berggebieten, im alpinen Grünland

  • Ist ökologisch wertvoll, weil sie Biodiversität also den Artenreichtum fördert,
  • gestaltet seit Jahrhunderten die Landschaft, sie prägt den Charakter einer Region,
  • hält vor- und nachgelagerte Wirtschaftszweige in Randregionen am Leben,
  • ist von immensem touristischen Mehrwert (Almen, Schipisten, Wandergebiete, überhaupt ein offenes, gepflegtes Landschaftsbild werden erhalten, bleiben attraktiv) 

 

 

Österreichs Milchproduktion basiert im Wesentlichen auf Grünfutter, sprich Gras.

 

Österreich hat den weltweit höchsten Anteil an Bio-Milchbauern

Das hängt wiederum mit natürlichen Gegebenheiten, aber auch mit unserem Molkereiwesen und nicht zuletzt mit speziellen vom Handel initiierten Qualitätsprogrammen zusammen. Bewusste Reduktion auf die vorhandenen Grünlandreserven bei vergleichsweise geringer Zufütterung von milchsteigernden Futtermitteln liegt in weiten Teilen Österreichs nahe. Molkereien unterstützen diesen Trend einerseits durch gezielte Beratung, andererseits durch entsprechend höhere Preise. Der Lebensmittelhandel wiederum erweitert die Palette an angebotener Milch in Bioqualität seinerseits, was ebenfalls Anreize schafft.

 

All das rechtfertigt meines Erachtens den österreichischen Sonderweg. Dieser ist aber massiv bedroht. Das ist kein Schreckgespenst, sondern lässt sich mit nackten Zahlen belegen. In den letzten zwanzig Jahren etwa ist die Almfläche in Österreich um ein Viertel geschrumpft. Auch die Zahl der Milchbauern ist im selben Zeitraum massiv zurückgegangen und tut das weiterhin. Tag für Tag geht so Grünland verloren, Tag für Tag sperren Bauernhöfe zu.

Die Zukunft der österreichischen Milch

Ich bin kein Prophet. Österreichs Milchproduktion scheint bedroht. Paradoxerweise deshalb, weil sie in mehrfacher Hinsicht besser ist als ihre industrialisierte internationale Konkurrenz, wie ich versucht habe darzustellen. In einer Hinsicht freilich kann sie nicht mit und wird sie nie mitkönnen– und das ist die rein ökonomische. Soll sich Österreichs Milchproduktion nicht auf die wenigen international konkurrenzfähigen Gunstregionen beschränken, wird sie von den Produktionskosten her immer viel viel teurer sein. Ein hochkomplexes Fördersystem und die oben kurz zitierte innerbäuerliche Solidarität wirken hier entgegen. Aber diesen Faktoren sind Grenzen gesetzt. Diese Grenzen werden zurzeit gerade wieder einmal „ausgelotet“. Der Milchpreis ist stark gefallen. Milchbauern produzieren zum Teil nicht kostendeckend. Ein Hilfeschrei ist zu hören. Wer soll damit erreicht werden? Dem österreichische Lebensmitteleinzelhandel und dem heimischen Konsumenten kommen zukünftig Schlüsselrollen zu. Der Hilfeschrei richtet sich daher (auch) an diese beiden Adressen. Der heimische Handel und der „Konsumpatriot“ haben es mit in der Hand. Sie entscheiden mit über die Zukunft der österreichischen Milch. Der Handel über das Instrument Preisgestaltung beispielsweise, oder auch im Verzicht auf das Listen ausländischer „Industriemilch“. Der Konsument indem er sich bewusst für das wertvollere Milchprodukt aus Österreich entscheidet.