Dauerbrenner Milchpreis oder: Warum Milchmädchenrechnungen selten aufgehen

02.12.2016 / Landwirtschaft & Lebensmittelproduktion

„Milch im Regal um 10 Cent teurer, Bauer bekommt nur 1 Cent davon?" So oder ähnlich geisterten unlängst Meldungen durch heimische Medien. Die Aufregung war groß und auch der eine oder andere Bauernvertreter konnte sich einen Seitenhieb auf den Handel nicht verkneifen. Der mehr oder weniger klar ausgesprochene Vorwurf: Der erzielte Mehrerlös bei der Milch werde nicht adequat an den Erzeuger weiter gegeben. Zehn Cent hier und ein Cent da – das liegt dann doch auf der Hand, nicht wahr?

Schauen wir uns die Sache doch ein wenig genauer an und – das habe ich getan – fragen wir mal nach bei denen, die es wissen müssen. Zum Beispiel bei den Chefs der Molkereien. Diese, also die Molkereien, die in Österreich übrigens ganz oder zumindest teilweise den Bauern selber gehören, (Genossenschaften) sind es ja, die den Bauern den Milchpreis auszahlen, nicht der Handel. Ich hab  also nachgefragt wie der Milchpreis zu Stande kommt und ob das nicht ein berechtigter Vorwurf der Bauernvertreter sei, wenn da nur ein Cent von zehn Cent weiter gegeben wird. 

werden unsere Milchbauern vom Handel übervorteilt?

Um es vorweg zu nehmen, 

diese „ein Cent von zehn Cent Rechnung“ ist eine klassische Milchmädchenrechnung, also umgangssprachlich etwas, das so nicht ganz stimmt – oder strenger gesagt: überhaupt nicht. Und als Argument im Dauerstreitthema Milchpreis ist sie so etwas wie Bauernfängerei. Was ich damit sagen will, werde ich nachstehend genauer ausführen. 

Diese „ein Cent von zehn Cent Rechnung“ ist eine klassische Milchmädchenrechnung, eine "Bauernfängerei"

 

Alles was ich im Folgenden sagen werde, könnte ich mit dem berühmten Sinowatz-Zitat zusammenfassen: Es ist alles sehr kompliziert – und einseitige und vorschnelle Schuldzuweisungen helfen den Betroffenen nicht.

So und nun ausgeführt, was mich die Molkereichefs wissen haben lassen.

  1. Sei schon der kolportierte eine Cent falsch, den die Bauern laut Pressemeldungen mehr erhielten. Das sagen mir unabhängig voneinander mehrere Molkereiverantwortliche. Es sei überall das Mehrfache und man frage sich, wie es zu dieser Falschmeldung kommen habe können. Alle Molkereivertreter betonten unisono, dass die Gelder, die über verbesserte Preisabschlüsse zwischen Molkerei und Lebensmittelhandel hereinkommen, auch den Bauern in Form von höheren Erzeugermilchpreisen zu Gute kämen.
  2. Müsse man von den 10 Prozent Preiserhöhung im Lebensmitteleinzelhandel neben dem Mehrwertsteuer-Anteil auch die Spanne des Lebensmitteleinzelhandels einrechnen.
  3. Sei es wesentlich festzuhalten, dass die Preiserhöhung im Handel (vorerst einmal) ja nur die Trinkmilch betroffen habe – und hier zunächst nur jene im sogenannten Preiseinstiegssegment. Von der an die österreichischen Molkereien gelieferten Menge an Rohmilch werde aber nur etwa 10 Prozent zu Trinkmilch verarbeitet, wovon das Preiseinstiegssegment („Billigmilch“) wiederum nur einen Teil ausmache. Der überwiegende Rest aber zu Käse, Butter, Topfen, Joghurt etc. etc. Die Verhandlungen zwischen dem Handel und den Molkereien für diese wichtigen Produktgruppen seien noch nicht abgeschlossen. Eine erhoffte Preisanhebung hier würde sich dann ebenfalls positiv auf den Erzeugerpreis auswirken.
  4. Würden Preiserhöhungen erst mit den üblichen Zahlungsfristen bei den Molkereien einlangen und könnten somit erst zeitverzögert an die Erzeuger, also die Milchbauern, weitergegeben werden.

Bauern, Molkereien und der Handel - alle wollen sie an der Milch verdienen

 

Der Milchpreis steigt wieder, Grund: Es wird weltweit weniger produziert.

Wie ich aus den Ausführungen der Molkereiverantwortlichen unschwer heraus hören konnte, wird er weiter steigen. Die Ursache dafür sei am internationalen Milchmarkt zu finden. Dort werde Rohmilch wieder etwas höher gehandelt, schlicht deshalb, weil weniger Milch am sogenannten „Spotmarkt“ anfalle. Im Klartext heißt das für mich: Bauern und Molkereien haben auf den extrem niedrigen Milchpreis der letzten Monate adequat reagiert und die Produktion etwas gedrosselt zusätzlich zum normalen saisonal bedingten Rückgang. Für österreichische Milch gilt dann noch die Besonderheit der gentechnikfreien Produktion sowie ein hoher Anteil an Bio-Milch, welche schon seit längerem überdurchschnittlich hohe Preise erzielen kann. Und Milch mit diesem Plus ist auch im Ausland gefragt, vor allem bei unserem nördlichen Nachbarn. 

Man muss dazu wissen, dass insgesamt ein erheblicher Teil der heimischen Milchproduktion ins Ausland geht (Die Angaben über die Exportquote schwanken je nach Berechnungsmodell zwischen 40 und 60 Prozent!). Dieser Umstand beeinflusst den Milcherzeugerpreis zum Beispiel wesentlich stärker als eine Trinkmilchpreisanhebung im heimischen Einzelhandel. Sieht man sich etwa die langjährige Entwicklung im Rohmilchpreis an, den heimische Bauern für ihr Produkt von ihren Molkereien bekommen, und vergleicht sie mit den Schwankungen auf den internationalen Rohmilchbörsen, so sieht man auf den ersten Blick eine beinah 1:1 Übereinstimmung der beiden Kurven. Anders gesagt: Ein fallender oder steigender Milchdurst der Inder oder Chinesen und eine Produktionssteigerung bzw. -drosselung der EU, der USA, Neuseelands oder auch das Russland Embargo haben für den österreichischen Milchbauern und den Preis, den er für seine Milch erzielen kann, eine deutlich stärkere Auswirkung als die Preispolitik des heimischen Lebensmittelhandels. 

Eine Exportquote von ca 50 Prozent bindet den heimischen Milchpreis stark an den internationalen

 

Bauernvertreter bringen in regelmäßigen Abständen das Argument vor, wonach der Handel den heimischen Bauern zu wenig für ihr Premiumprodukt „österreichische Milch“ bezahle. Ob dieser Vorwurf berechtigt ist oder nicht, lasse ich dahingestellt. Sicher ist, dass er die große Abhängigkeit von den internationalen Märkten im Rahmen seiner Argumentation ausblendet.

Warum sich Österreich als relativ kleiner Milcherzeuger auch am internationalen Markt tummelt, tummeln muss, oder ob die heimische Milchwirtschaft sich dorthin „verirrt“ hat, wie manche meinen, ist eine eigene Geschichte mit einem langen Vorlauf, den ich hier nicht in allen Facetten aufrollen will und kann. Nur zwei gegenläufige Meinungen dazu seien hier kurz angeführt. Von Molkereiseite habe ich folgendes Argument gehört: Überall sonst sei man stolz über eine positive Handelsbilanz und wenn man auch international mit Top-Qualität punkten könne, warum soll das bei der Milch anders sein. Kritiker einer Milchproduktion (auch) für den Weltmarkt betonen hingegen, dass Österreich kostenseitig nie mit den großen Playern wie Neuseeland, USA, Irland, Frankreich Deutschland oder Skandinavien mithalten werde können, aufgrund der vollkommen anders gelagerten Produktionsbedingungen klimatischer und topographischer Natur. Dies habe notwendig zur Folge, dass der heimische Milchbauer unter einem langfristig nicht zu bewältigenden Kostendruck stehe und trage stark zum bekannten Bauernsterben bei. 

Bezahlt der Handel zu wenig für das Premiumprodukt "österreichische Milch"?

Ich meine, dass es sehr schwer ist hier „Schuldige“ auszumachen und dass die heimische Milchbranche, will sie auch in Zukunft bestehen, sich noch stärker Richtung Qualität verbunden mit „transparentem Marketing“ bewegen wird müssen. Im Übrigen gilt, wie ich schon oben erwähnte: Es ist alles sehr kompliziert…

Die heimischen Molkereien zahlen ihren Bauern wieder einen etwas höheren Milchpreis. Das ist grundsätzlich erfreulich und höchst an der Zeit. Für viele kommt dieser Aufwärtstrend bereits zu spät. Täglich sperren mehrere Milchbauern für immer zu. Ob ein Bauer 29 oder 31 oder gar 33 Cent für einen Liter Milch bekommt, macht bei Milchmengen bis zu 50.000 Liter im Monat, wie sie größere Betriebe auch in Österreich an ihre Molkerei abliefern, einen deutlichen Unterschied. Einen der über Weitermachen oder Aufhören entscheiden kann. 

Nachsatz:

Im Wissen, dass ich mit dem Thema Milchpreis so ungefähr die heißeste Kartoffel angreife, die es in der heimischen Landwirtschaft gibt, möchte ich ausdrücklich betonen, dass ich mit den oben stehenden Zurechtrückungen noch nichts gesagt habe über die grundsätzliche Problematik vom auch aus meiner Sicht viel zu niedrigen Milcherzeugerpreis. Dieser hängt natürlich damit zusammen, dass uns die Milch im Geschäft viel zu wenig kostet, wie auch die Grafik unten zeigt.

Aber das ist eine andere Geschichte und soll ein anderes Mal erzählt werden.

Kosten von Wohnung, Wasser und Energie haben in den vergangenen 20 Jahren um 128 Prozent zugelegt, Tariflöhne um 140 Prozent. Molkereiprodukte und Eier sind seit 1986 jedoch nur um 40 Prozent teurer geworden