Alltag im Supermarkt oder ein Käfig voller Narren

30.03.2017 / Essen & bewusster Konsum

Mein Name ist Desiree Mink, 47 Jahre alt, in der Großstadt geboren und aufgewachsen und seit 20 Jahren dem Landleben verfallen.

Ich bin schon immer im Verkauf. Gelernt habe ich in einer kleinen Bäckerei, einem Familienunternehmen, wo ich das Handwerk von der Pike auf kennenlernen durfte. Bis auf einen kleinen Ausflug in das Sicherheitsgewerbe war ich dem Einzelhandel immer treu und da Treue zu meinen Grundeigenschaften gehört, hatte ich bis jetzt auch wenige Arbeitgeber. Diese Arbeit macht mir auch immer noch großen Spaß. Jedoch – 30 Jahre Verkauf lassen einen zynisch und sarkastisch werden – manchmal.

Seit fünfzehn Jahren nun sitze ich bei Rewe an der Kasse – und mache auch sonst so, was anfällt. Soll heißen, ich komme auch viel im Markt herum und bekomme so einiges mit. Arbeiten muss ich nach wie vor in einem Markt in der Großstadt – was aber nur gut für den geistigen Horizont ist. Vieles vergisst man, manches ist bemerkenswert, anderes brennt sich ins Gedächtnis ein.

Dass es die vielgescholtene Doppelmoral auch und besonders beim Supermarktkunden gibt hat mich allerdings erst der Job an der Kasse gelehrt. Und ich schließe mich selbst keineswegs aus! (Und auch nicht den Rewe-Konzern…)

30 Jahre Verkauf lassen einen zynisch und sarkastisch werden

Da ist die nette Kundin mit den zwei Kindern, die alle Wege nur mit dem Fahrrad erledigt, denn sie möchte ihren kleinen Beitrag zur Verbesserung des Weltklimas leisten. In ihrem Fahrradkörbchen liegen dann im Verlauf des Erntejahres so interessante und gesunde Früchte wie Avocado, neuseeländische Kiwi und Papaya – alles Früchte mit langen Lieferwegen. Endiviensalat, Steckrübe und alle Kohlsorten – heimische Lebensmittel mit kurzen Transportwegen – bleiben in der Auslage liegen denn „die Kinder essen das nicht und ohnehin kann ich nicht kochen.“

Meine nächste Kundin ist dann die „Biotante“, wie ich sie heimlich nenne. Sie kauft nur Bio, erstens, weil es gesünder ist, weil ohne Pestizide und Dünger, zweitens weil sie die ausbeuterische konventionelle Landwirtschaft nicht unterstützen will. Ausser das Fleisch, das Biohühnchen für 13,99 Euro ist ihr dann doch zu teuer. Nicht zu teuer sind dann die Reinigungsmittel für das gesunde und bakterienfreie Klima zuhause, die da sind: Cillit Bang, Schnellentkalker für die Kaffeemaschine und Drano Rohrfrei. Ist ja alles gut für die Umwelt…

Der erste Mann heute als mein Kunde „findet es super, daß Rewe die Plastiktüten abgeschafft hat, denn da wird ja so viel Erdöl zur Herstellung“ gebraucht. Na klar, denke ich, als ich zufällig direkt hinter ihm meine Kasse schließe, um draußen auf dem Parkplatz die Mülleimer zu leeren. Das Erdöl braucht er wahrscheinlich selbst, um Sprit für seinen 12L/100Km verbrauchenden Ford Ranger herzustellen – im Ford Ranger ist im Übrigen auch viel Plastik verbaut.

Ich lasse meine Kasse geschlossen und wende mich meiner nächsten Aufgabe zu: Ware von so genannten „Direktlieferanten“ ins Regal zu räumen, das heißt Ware, die nicht über das Rewe Logistikzentrum läuft sondern vom Hersteller direkt an den betreffenden Supermarkt geliefert wird. Auch dabei bekomme ich einiges mit. Eifrig plaudernd gehen zwei junge Frauen an mir vorbei, die eine erzählt der anderen, dass sie überlegt, vegetarisch zu leben. „Warum fängst Du nicht sofort damit an?“ fragt die Freundin. „Hier gibt es doch genug Auswahl für Vegetarier“ „Du hast Recht“ antwortet die Erste, „ab sofort unterstütze ich kein Tierleid mehr!“ Ich freue mich, dass den beiden Kundinnen unser Angebot gefällt. Weniger freut mich dann, dass sie das zuvor schon in den Wagen gelegte Ja! Hackfleisch und die abgepackte Putenbrust einfach ins Kaffeeregal schmeißen – es wird ja nicht mehr gebraucht. Gut, dass ich gerade den Tee einräume – so ist kein Tier umsonst gestorben, weil die Verbraucher zu blöd, zu bequem oder einfach zu gedankenlos sind, das Fleisch wieder zurück in die Kühlung zu legen. Aber Hauptsache mal Tierleid vermieden…

Upps, ich werde wieder in die Kasse gerufen. Auch diese Kundin liebt Tiere und die Umwelt und findet es klasse, dass es keine Plastiktüten mehr gibt. Die Weltmeere sind ja verseucht mit Plastik, das macht den Meerestieren das Leben so schwer. Die kleine Papiertüte ist dann mit 10 Cent „aber Wucher“ und so holt sie sich aus der Obst- und Gemüseabteilung mehrere der kleinen Plastiktütchen, um ihre Thunfischdosen und den norwegischen Lachs aus Wildbeständen darin zu verstauen.

Die Kundin liebt Tiere und die Umwelt und findet es klasse, dass es keine Plastiktüten mehr gibt. Die kleine Papiertüte ist dann mit 10 Cent 'aber Wucher' und so holt sie sich aus der Obst- und Gemüseabteilung mehrere der kleinen Plastiktütchen

Der Kundenandrang hat sich gemindert und ich schließe meine Kasse um den Tee fertig einzuräumen. Auf dem Weg dorthin komme ich an den Eiern vorbei. Wild gestikulierend stürzt sich ein älteres Ehepaar auf mich: „Junge Frau (danke für das Kompliment), warum gibt seit Tagen keine Eier aus Freilandhaltung?“ Na, das ist einfach. Denke ich. Ich rede von Vogelgrippe, der Stallpflicht und den Schwierigkeiten der Lieferanten, ihre Eier kurzfristig und dem Zwang gehorchend umdeklarieren zu müssen. Das ist nicht so einfach wie man denkt. Aber: „Wir leben ja in Deutschland, da muss immer alles zur Verfügung stehen.“ Ich traue meinen Ohren nicht. Ein Produkt, das vom lebenden Tier kommt und strenger Deklarationspflicht unterliegt muss immer zur Verfügung stehen? Ich kann mir eine Empfehlung für eigene Geflügelhaltung nicht verkneifen, evtl. stehen dann immer Eier zur Verfügung. Gott sei Dank nehmen sie es mit Humor und ich kann meiner Wege ziehen.

Schon wieder Kasse, gut, ist viel los heute und wir müssen ja den Umsatz halten. Ah, Veganer. Scheinbar ein frisch verheiratetes Ehepaar, süß, wie sie miteinander umgehen. Aber dann… der junge Mann hat den Fehler gemacht, ein Glas Nutella einzupacken. KATASTROPHE! Das geht GAR NICHT! Ich bewundere die junge Frau für ihre Konsequenz – in Nutella ist Palmöl drin, das tötet Orang – Utans, das wird nicht gekauft! Keine Spur von Doppelmoral bei der Dame. Der junge Mann schämt sich auch ausreichend und so ist der Ehefrieden wieder hergestellt. Bei anderen Veganern, die trotzdem Nutella kaufen, steht er evtl. noch bevor.

Thorben–Lassiter und Venga Marie (nein, ich habe mir diese Namen NICHT ausgedacht) möchten ihre Wundertüten heute mal selbst bezahlen, sie sind ja schon groß. Mir macht das immer Spaß, Kinder sind freundlich und aufgeschlossen und außerdem unsere Kunden von morgen. Zum Bezahlen brauchen sie was länger, macht aber nix. Von weitem beobachtet die Mutter und scheint dem Lob nach, welches die Kinder nachher bekommen, zufrieden. Weniger zufrieden ist die Rentnerin dahinter, die „schon genug Zeit verloren hat wegen diesen ungezogenen Blagen“ und doch bitte noch ihren Bus erreichen muss. Das Kleingeld, das sie aus ihrem Portmonee zählt, reicht aber leider nicht und so kommt dann doch der 50 Euro- Schein zum Einsatz. Schade, Bus verpasst. Lag aber ja keineswegs an der Kleingeldfummelei sondern an „den Blagen“.

Ich gehe weiter ausräumen. Wieder höre ich ein Gespräch mit. Wir Supermarktmitarbeiter scheinen unsichtbar zu sein für die meisten Kunden – was man manchmal so mitkriegt… Oh. Doch nicht unsichtbar. Jedenfalls nicht das Serviceteam der sog. „Auspacker“. Diese verräumen die Ware aus dem Logistikzentrum und müssen dementsprechend viel leisten. Das passt der Frau Dr. überhaupt nicht. Das könne man ja wohl nachts machen, da müssten die Kunden auch kein Hindernisfahren um die Rollis veranstalten. Und überhaupt, nie ist das an Ware da, was sie haben will und braucht, immer wären die Regale leer, abends sei kein Obst und Gemüse mehr da….ich erlöse den Kollegen mal und nehme mich der Kundin an. Über den Widerspruch in ihren Aussagen schweige ich. Könnte sonst in Teufels Küche kommen…

 

Wir leben ja in Deutschland, da muss immer alles zur Verfügung stehen!

Die letzte Kundin des Tages unterhält sich ein bisschen mit mir. Sie ist entsetzt, dass der Nestlé – Konzern den armen Völkern auf der ganzen Welt das kostbare Trinkwasser abgräbt und sie teuer für das gekaufte aus den Flaschen bezahlen lässt. Sie boykottiert den Konzern ab jetzt – so könne man diesen Ausbeutern doch wenigstens ein bisschen Umsatz nehmen. Da ich als Supermarktmitarbeiterin weiß, wann ich die Klappe zu halten habe, verschweige ich ihr, dass die Hälfte der Ware in ihrem Korb von Nestlé hergestellt wird. Sie weiß es sicher auch noch nicht… Und ich bin froh, dass ich für heute fertig bin…

Um mal zum Schluss zu kommen: ich habe den Beruf, meinen Arbeitgeber und meine Kunden immer noch gerne, wäre das nicht der Fall könnte ich zum Menschenfeind werden. Jeden Tag schmeißen wir Tonnen von Lebensmitteln weg, sei es, weil die Kunden Kühl- oder Gefrierware irgendwo im Markt ablegen, sei es, weil jemand der Meinung war, er müsse während seines Einkaufs die halbe Packung Kekse essen und den Rest dann in die Gefriertruhe legen. Frischmilch, Molkereiprodukte, Mehl, Brot und Eier – Produkte auch der Landwirtschaft -sind vielen zu teuer, aber Mutti muss ja mit dem Porsche Cayenne vorfahren, darunter machen es manche nicht.

An der Kasse hört man sich – zähneknirschend aber schweigend, denn man will ja seinen Job behalten – die Hasstiraden auf Flüchtlinge an (wobei ich zugeben muss: wenn’s mir zu viel wird, halte ich auch mal gegen – Job hin oder her) um dann festzustellen, was besagter Kunde in seinem Einkaufskorb hat liegenlassen, nämlich die Pizza aus dem Angebot. Die ich dann wegschmeißen MUSS, denn bei Tiefkühlware geht’s um Minuten. Kann dann sein, dass ich dem in Gedanken mal drei Monate in Aleppo wünsche, ohne Wasser und Brot, dafür aber mit Bombenhagel…

Auch die fachmännischen Aussagen über die dämlichen Landwirte, die ja den Spargel und die Erdbeeren viel zu teuer machen und sich am Verbraucher gesund stoßen gehen mir zunehmend auf die Nerven. Muss ich auch meist unkommentiert stehenlassen.

Gott sei Dank sind die meisten Kunden solche, weswegen ich mir meinen Job ausgesucht habe – freundliche, interessante Menschen, die noch ein nettes Wort zum Feierabend übrig haben.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst auf der Seite von Bauer Willi. Vielen Dank an dieser Stelle an die Autorin und an Alois und Willi!